Folter
Wir wollen hier eher einem Pfade folgen, welcher dafür hält, die größten Übel und die schwersten Leiden fielen nicht von außen auf uns ein, sondern nisteten, sofern ihre Herkunft überhaupt zu orten ist, in unserm Innern und seien Geschwüre unserer eigenen Unzulänglichkeit. Dafür spricht, daß das selbe Ereignis, das den einen niederwirft, vom andern gelassen aufgenommen wird, ja ihm womöglich noch zu seinem Glücke hilft. Mancher nimmt ja den Ruin lachend hin, ein anderer treibt das Kriegshandwerk zum Spiel und erwirbt sich Geld und Ruhm, einem Dritten bietet gar die Folter Gelegenheit zur Erfüllung seiner geistigen Sehnsucht und er verklärt sich im Martyrium. Also kann nicht schlechthin Ruin, Krieg und Folter unser Unglück sein, sondern allenfalls die Art und Weise, wie wir sie empfangen und ertragen....
....Der Tatmensch rät, man müsse das Übel kräftig bei der Wurzel packen, die Zustände zu seinem Vorteile ändern; der Weise, man solle es als die natürliche, vom Schicksal oder einem Gotte zugeteilte Bestimmung begreifen und mit Geduld ertragen. Das eine müssen wir den Tatmenschen überlassen, die, auf ihre Weise, ja oftmals wacker und unerschüttert durchs Leben zu kommen scheinen. Ob wir das Unglück aber, nach Art des Weisen, begreifen können, und wenn, ob uns das Begreifen hilft, es wirklich mit Geduld zu tragen, das wollen wir doch noch in Frage stellen. Denn, würde die Einsicht, daß alles dies nur natürlich und unserem Wesen angemessen sei, uns helfen, es auch zu ertragen, so wäre dem Elende ja der hauptsächliche Stachel genommen, wir hätten gerade das, was wir eben noch als unsere Natur erkannten, nämlich leidend zu sein, bereits überwunden, wären zufrieden, gar glücklich, - und die Erkenntnis wiederum, daß der Weg des Lebens mit Leid gesät ist, hätte sich erübrigt.....
....Davon finden wir auch alle anderen Weisheitsbücher voll. Die Wirklichkeit aber spielt sich doch eher so ab: Einer klagt: “Ach, ich bin unglücklich! Der und jener mißhandelt mich, dies und das mißlingt mir, ich werde nicht geliebt und mag mich selbst nicht leiden und sehe keine Hoffnung für alle Zeit!” - “Nun ja,” erwidert ihm der Freund, “es ist schlimm, aber nimm es nicht so schwer, das gehört zum Leben, ein jeder stolpert zu Zeiten über diese Hindernisse oder sieht sich im Morast versinken. Versuch es tapfer zu ertragen, als das Unvermeidliche hinzunehmen, oder, besser noch, versuche das Gute darin zu erkennen, dann ist die Hälfte der Schlacht geschlagen, und du gehst dem Sieg entgegen!” - “Ja, vielleicht hast du recht. - Doch wenn es mir gelänge, es hinzunehmen, wenn ich Einfluß darauf, Macht darüber hätte, so wäre es ja tatsächlich nicht mehr schwer, und der Schmerz würde nicht als unüberwindbares Schicksal auf mir lasten. Aber gerade daß ich keinen Ausweg finde, nur Verschlimmerung fürchte und mir jede Hoffnung auf Erlösung abhanden gekommen, daß ich keine Kräfte in mir fühle, meine Gedanken weg auf vorteilhaftere Aussichten, auf eine günstigere Auslegung meiner Umstände zu lenken, daß die Kränkung, die Sorge, der Schmerz mich mit solcher Übermacht ergriffen hat, das eben macht ja das Untröstliche meiner Lage.” So redet und empfindet der wahrhaft Leidende!....
....Alle Kunst der Weisheitslehrer kann deswegen nicht darin bestehen, das Aufkommen des Leidens und der inneren Verstimmung zu verhindern (dies wäre so töricht als wie den Hunger auf immer stillen zu wollen), sondern allenfalls dem Umgang mit denselben einige Kultur und Zügel anzulegen, damit es mit leidlicher Würde geschehe, entsprechend den Tischsitten und der gesamten kultivierten Befriedigung des Nahrungstriebes, also frei von unziemlichen Äußerungen der Begierde oder des Abscheus. Denn, wie dort einer für ein primitives Tier geachtet wird, der nur so auf das Objekt seiner ihn gänzlich beherrschenden Gier losstürzt und es mit triefenden Lefzen hinunterschlingt, oder, wenn ihm der Geschmack zuwider, es vor aller Augen wieder ausspuckt, so ist auch der ein würdeloser, weil seinen Affekten ausgelieferter Mensch, der unbeherrscht seine innere Verstimmung auf die Außenwelt projiziert, irgendeinen Vorgesetzten verflucht, einen Untergebenen zermalmt oder in elenden Lamentationen über sein Unglück zerfließt....
....nein, mit dem Glücke verläßt uns auch die Weisheit, Hand in Hand gehen sie davon, überlassen uns der Not, welche keinen vernünftigen Gedanken in ihrer Nähe duldet. Würde sie es tun, so wäre sie nicht mehr die Not, sie wäre bereits dem Glücke gewichen, welches, eng umschlungen mit der Weisheit, wieder den Platz für sich erobert hätte....
(DOP)
....Der Tatmensch rät, man müsse das Übel kräftig bei der Wurzel packen, die Zustände zu seinem Vorteile ändern; der Weise, man solle es als die natürliche, vom Schicksal oder einem Gotte zugeteilte Bestimmung begreifen und mit Geduld ertragen. Das eine müssen wir den Tatmenschen überlassen, die, auf ihre Weise, ja oftmals wacker und unerschüttert durchs Leben zu kommen scheinen. Ob wir das Unglück aber, nach Art des Weisen, begreifen können, und wenn, ob uns das Begreifen hilft, es wirklich mit Geduld zu tragen, das wollen wir doch noch in Frage stellen. Denn, würde die Einsicht, daß alles dies nur natürlich und unserem Wesen angemessen sei, uns helfen, es auch zu ertragen, so wäre dem Elende ja der hauptsächliche Stachel genommen, wir hätten gerade das, was wir eben noch als unsere Natur erkannten, nämlich leidend zu sein, bereits überwunden, wären zufrieden, gar glücklich, - und die Erkenntnis wiederum, daß der Weg des Lebens mit Leid gesät ist, hätte sich erübrigt.....
....Davon finden wir auch alle anderen Weisheitsbücher voll. Die Wirklichkeit aber spielt sich doch eher so ab: Einer klagt: “Ach, ich bin unglücklich! Der und jener mißhandelt mich, dies und das mißlingt mir, ich werde nicht geliebt und mag mich selbst nicht leiden und sehe keine Hoffnung für alle Zeit!” - “Nun ja,” erwidert ihm der Freund, “es ist schlimm, aber nimm es nicht so schwer, das gehört zum Leben, ein jeder stolpert zu Zeiten über diese Hindernisse oder sieht sich im Morast versinken. Versuch es tapfer zu ertragen, als das Unvermeidliche hinzunehmen, oder, besser noch, versuche das Gute darin zu erkennen, dann ist die Hälfte der Schlacht geschlagen, und du gehst dem Sieg entgegen!” - “Ja, vielleicht hast du recht. - Doch wenn es mir gelänge, es hinzunehmen, wenn ich Einfluß darauf, Macht darüber hätte, so wäre es ja tatsächlich nicht mehr schwer, und der Schmerz würde nicht als unüberwindbares Schicksal auf mir lasten. Aber gerade daß ich keinen Ausweg finde, nur Verschlimmerung fürchte und mir jede Hoffnung auf Erlösung abhanden gekommen, daß ich keine Kräfte in mir fühle, meine Gedanken weg auf vorteilhaftere Aussichten, auf eine günstigere Auslegung meiner Umstände zu lenken, daß die Kränkung, die Sorge, der Schmerz mich mit solcher Übermacht ergriffen hat, das eben macht ja das Untröstliche meiner Lage.” So redet und empfindet der wahrhaft Leidende!....
....Alle Kunst der Weisheitslehrer kann deswegen nicht darin bestehen, das Aufkommen des Leidens und der inneren Verstimmung zu verhindern (dies wäre so töricht als wie den Hunger auf immer stillen zu wollen), sondern allenfalls dem Umgang mit denselben einige Kultur und Zügel anzulegen, damit es mit leidlicher Würde geschehe, entsprechend den Tischsitten und der gesamten kultivierten Befriedigung des Nahrungstriebes, also frei von unziemlichen Äußerungen der Begierde oder des Abscheus. Denn, wie dort einer für ein primitives Tier geachtet wird, der nur so auf das Objekt seiner ihn gänzlich beherrschenden Gier losstürzt und es mit triefenden Lefzen hinunterschlingt, oder, wenn ihm der Geschmack zuwider, es vor aller Augen wieder ausspuckt, so ist auch der ein würdeloser, weil seinen Affekten ausgelieferter Mensch, der unbeherrscht seine innere Verstimmung auf die Außenwelt projiziert, irgendeinen Vorgesetzten verflucht, einen Untergebenen zermalmt oder in elenden Lamentationen über sein Unglück zerfließt....
....nein, mit dem Glücke verläßt uns auch die Weisheit, Hand in Hand gehen sie davon, überlassen uns der Not, welche keinen vernünftigen Gedanken in ihrer Nähe duldet. Würde sie es tun, so wäre sie nicht mehr die Not, sie wäre bereits dem Glücke gewichen, welches, eng umschlungen mit der Weisheit, wieder den Platz für sich erobert hätte....
(DOP)
Galaxidilea - 22. Mär, 10:25